Zum Jahresauftakt betrachtet Steffen Steglich das Thema “Wirklichkeit – Realität – Virtualität” und fragt sich “Wo bin ich eigentlich ? Und wenn, wer?” – Am 10. Januar 2012 steht unser nächster TMSB-Abend bevor. Referent ist an diesem Abend der Berliner Schauspieler und Konzeptioner Steffen Steglich, der mit uns der Frage nach Virtualität und Realität genauer auf den Grund gehen wird.

Wir treffen uns ab 19.30 Uhr in der Turnhalle in Friedrichshain. Das Referat beginnt um 20 Uhr und anschließend haben wir wie immer Zeit zum weiterdiskutieren und networken.

Aus dem Inhalt des Referats:

Die deutsche Sprache kennt drei Begriffe zur Beschreibung von kognitiven, sozialen und systemischen Abläufen, bzw. Ebenen. Realität – Wirklichkeit – Virtualität.

Wenn man die drei Worte genauer betrachtet, dann fällt auf, die Virtualität hat es schwer. Warum ? Meist auf die Ebene digitaler Welten reduziert, ist sie ein Hort von Unterstellungen, mit denen schon der Philosoph Sokrates vor 2500 Jahren konfrontiert wurde: z.B. „Verderber der Jugend“. Dabei hat er nur Bestehendes hinterfragt, bis die „verborgene Wahrheit“ offen lag. Das hat auch damals schon nicht jeden gefallen.

Plakatives Beispiel: Betritt ein Erwachsener ein Zimmer, wo eine Gruppe „medial ausgelieferter“ Jugendlicher einen Teil der „Call of Duty Reihe“ leidenschaftlich frequentiert, ist gleich das Abendland in Gefahr. Was er an so genanntem „Bösen“ sieht, stimmt meist nicht mit dem Kanon einer zivilisierten, aufgeklärten, bildungsbürgerlichen Gesellschaft überein, seiner Meinung nach. Auch fehlt – ein weiterer Vorwurf – der Bezug zum Leben. Der Wandler in virtuellen Welten wird automatisch zum empathischen „Zombie“. Worin er sich bewegt, ist ja nicht „echt“. Fehlt doch der soziale Bezug zum „realem“ bzw. „wirklichem“ Leben. Er gilt sofort als moderner „Robinson Crusoe der digitalen Insel“, total vereinsam, der gerettet. Aber vielleicht ist das ja ganz anders.

Diesem allgemeinen Trend der Zivilisationskritik von bestimmten sozialen Bezugsgruppen (Pädagogen, Psychologen, Soziologen, staatlich legitimierte „Werteschützer“ etc.) möchte ich mich nicht anschließen. Virtualität, als mentale Ebene des menschlichen Geistes, was sie letztlich ist (!!!), passt folgerichtig in unserer mediale Entwicklung von Gutenberg (Buch) und zum Internet (Virtualität) und musste so kommen.

Denn jetzt schreiben einzelne Subjekte ihr „eigenes Buch“ in „ihren Welten“, mit dem Ergebnis, dass ihre Taten meist keine direkten Auswirkungen in Realität und Wirklichkeit haben, aber dennoch offenbar werden. Virtualität als Feld dessen, was der Mensch auch und/oder überhaupt ist.

Vielleicht lohnt sich genauer zu beleuchten, woher die Worte stammen, was sie ursprünglich bedeuteten und beschrieben und welche Intentionen sich heute damit verbinden.

Hier eine kurze Beschreibung:
1. Realität (lat. realitas, von res „Ding“). Als “real” wird zum einen etwas bezeichnet, das keine Illusion ist, und nicht von den Wünschen oder Überzeugungen eines Einzelnen abhängig ist. Zum anderen ist „real“ vor allem etwas, das in Wahrheit so ist, wie es erscheint. z.B. eine Überzeugung, Einschätzung, Beschreibung, ein Bild oder ein Film gilt als „realistisch“, wenn es die Eigenschaften der darzustellenden Wirklichkeit in vielerlei Hinsichten und ohne Verzerrungen wiedergibt. Alles was wir mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen können.

2. Wirklichkeit beschreibt all das, was der komplett der Fall ist. Gegenbegriffe zur Wirklichkeit sind Schein, Traum oder Phantasie als eigener Wahrnehmungszustand. Wirklichkeit umfasst also Kontingentes und Notwendiges. Das deutsche Wort Wirklichkeit wurde von Meister Eckhart als Übersetzung von lateinisch actualitas eingeführt. Der gehörte der deutschen Mystik im Mittelalter an. Der sprachliche Bezug zu Wirken und Werk rückt es in die Nähe des aristotelischen Begriffs der energeia, welcher auf ergon für „Werk, Wirken, Energie“ zurückgeht. D.h., die materielle Erfahrbarkeit wird durch eine immaterielle (lateinisch immaterialis ‚unstofflich’, ‚unkörperlich’, ‚geistig’) Ebene erweitert. Also alles, was wir mit unseren sechs Sinnen „wahr – nehmen“ können. Das was es ist und was es noch ist, aber individuell noch nicht erfahr – und fassbar wird.

3. Virtualität ist die Eigenschaft einer Sache, noch nicht in der Form zu existieren, in der sie zu existieren scheint, aber in ihrem Wesen oder ihrer Wirkung einer in dieser Form existierenden Sache zu gleichen. Das Wort führt über den französischen Begriff virtuel (fähig zu wirken, möglich) zurück auf das lateinische Wort virtus (Tugend, Tapferkeit, Tüchtigkeit, Kraft, Männlichkeit). Es spezifiziert also gedachte Eigenschaft(en), die zwar nicht physisch, aber doch in ihrer Funktionalität oder Wirkung vorhanden sind. Somit ist „virtuell“ nicht das Gegenteil von „real“ – obwohl es fälschlicherweise oft so verwendet wird – sondern von „physisch“.

Wir freuen uns auf einen spannenden und anregenden Abend.

Von Realität und Virtualität

Referent: Steffen Steglich

Wann: Dienstag, 10. Januar 2012 19:30 Uhr

Wo: Die Turnhalle Holteistraße 6-9 10245 Berlin Friedrichshain

Bitte meldet Euch wie immer Da die Veranstaltung bereits in der Vergangenheit liegt, wurde das Anmeldeformular deaktiviert.hier an

Foto: Ross Mayfield, Lizenz: CC BY 2.0

Inhaltsangabe: Steffen Steglich