Am 1. November war das Thema unseres Transmedia Storytelling – Abends: Figurenentwicklung für Transmedia Projekte. An diesem Abend referierte Philipp Zimmermann darüber, wie man einen Charakter aufbaut, damit er von den Experiencern nicht nur wahrgenommen sondern auch als gleichberechtigt akzeptiert wird. Im folgenden hat er uns seinen Vortrag noch einmal in aller Kürze zusammengestellt, für alle die an jenem Abend nicht dabei sein konnten.

Figurenerschaffung und -gestaltung im Allgemeinen

“Character is action”
Dieser Leitspruch der Drehbuchautoren verdeutlicht, dass eine Figur durch ihre Handlungen charakterisiert wird, nicht durch die deskriptive Charakterisierung. Dies gilt auch außerhalb des Films

1. Charakterisierung sind nicht der wahre Charakter einer Figur
Charakterisierungen sind notwendig, stellen in der Gestaltungsarbeit aber nur einen ersten Schritt dar. Es ist deswegen vielfach von Vorteil, wenn die Charakterisierung erst später geschrieben wird, wenn konkrete Szenen und Situationen mit der Figur vorliegen.

Die Charakterisierung wiederum kann ein wichtiger Schritt in der Bildung einer schlüssigen Biografie sein. Gerade im Transmedia-Bereich sind Biografien sehr hilfreich, da sie als “Futter” für die Auswertung dienen können.

2. Figurenerstellung
Die Biografien fiktiver Figuren sind der Schlüsselbaustein in ihrer späteren Anwendung. Im Idealfall bieten sie bereits charakteristische Situationen und mögliche Schlüsselelemente, die später im Verlauf der Geschichte von Bedeutung sein werden.

Als Vorlagen ist es durchaus zulässig sich bei realen, aber auch bei fiktiven Personen zu bedienen. Da es sowieso notwendig ist diese zumeist nicht in ihrer Vollständigkeit zugänglichen Figuren und ihre Biografien auszubauen, führt dies sehr schnell zu Variationen deren Vorlage nicht mehr zu erkennen ist. Der Vorteil dieses Ansatzes ist es, dass dies vielfach zu realistischeren Porträts führt als wenn Figuren von abstrakten Begriffen ausgehend konzipiert werden.

3. Die Illusion der Monokausalität!
Vielfach werden für biografische Details oder charakteristische Eigenschaften einer Figur einfache monokausale Ursachen verwendet (z.B. “Er ist ein Mörder, weil ihn seine Mutter nicht geliebt hat.”). Dies wird automatisch künstlich und leicht durchschaubbar, da dies eine Eindimensionalität offenbart, die im Widerspruch zu den vielschichtigen Personen unserer realen Umwelt steht.

Dementsprechend ist es auch wichtig, dass eine entsprechende Vielschichtigkeit in den Biografien mitkonzipiert oder zumindest angedacht wird, um Monokausalität zu vermeiden. Brücken, Ecken und Kanten sind für den Autoren von Vorteil.

4. Want & Need
In der klassischen Drehbuchliteratur wird zwischen den bewußten Wünschen, dem “Want” und den unbewußten Bedürfnissen des “Need” unterschieden. Diese Herangehensweise ist stark vereinfachend, lenkt aber die Aufmerksamkeit des Autoren auf die ein Spannungsfeld, dass innerhalb jeder Figur existieren sollte, um sie in moralische Konflikte und Dilemmata zu stoßen.

5. Kontrast/Widerspruch
Kontraste innerhalb einer Figur sind von Vorteil, um sie inhaltlich reicher zu machen und mehr Ansatzpunkte für Konflikte zu haben. Auch sie sollten von Anfang an mitgedacht werden. Widersprüche stellen dabei die stärkste Form von Kontrast dar. Je nach gewünschter Form kann es allerdings wünschenswert sein, mit weniger dicken Farben zu “malen”.
Kontraste und Widersprüche sollten allerdings nicht nur im Innenleben einer Figur, sondern auch zwischen den verschiedenen Figuren eines Ensembles herrschen, nicht zuletzt aus Gründern der Unterscheidbarkeit, vor allem aber auch als mögliches Konfliktpotential.

Figuren ins Transmedia

“Psychologischen Studien zufolge setzt sich der erste Eindruck zu 55 % aus unserer Kleidung und Körpersprache zusammen, 38 % macht die Stimme aus und nur 7 % das, was wir sagen!”
Der erste Eindruck und die damit verbundene Bildung von Vorurteilen ist sehr wichtig. In einem kontrollierten Medium wie Film, TV oder Buch ist dies sehr einfach zu regulieren. In Transmedia-Stoffen ist die Kontrolle nicht immer gegeben, weswegen auf den ersten Eindruck besonderes Augenmerk gelegt werden sollte.

1. Verwendung/Wo taucht der Charakter als erstes auf?
Der erste Eindruck prägt die Darstellung einer Figur und sollte deswegen genau geplant und vorbereitet sein.

Dabei ist nicht nur der Inhalt der Darstellung zu beachten, sondern auch das gewählte Medium. Unterschiedliche Vor- und Nachteile, sowie das mögliche Ausdrucksspektrum innerhalb eines Mediums sollten in die Konzeption mit einbezogen werden (z.B. Stimmen im Audiobereich, Aussehen in Fotos, …)

Im Transmedia-Bereich ist nicht immer klar und eindeutig zwischen Haupt- und Nebenfiguren zu unterscheiden. Nicht zuletzt weil unterschiedliche Zielgruppen eines Transmedia-Projektes auch unterschiedlichen Zugang zu einer Figur haben können. Deswegen sollte bei allen Figuren auf Sorgfalt und vor allem aber auch auf erzählerischer Ökonomie geachtet werden, damit der Autor die entsprechende Flexibilität behalten kann, falls z.B. eine weitere Figur benötigt wird.

2. Variabilität der Darstellung
In den klassischen Medien ist die Darstellung einer Figur monolithisch: Es gibt nur eine Quelle aus der sich die Informationen des Rezipienten speisen. Im Transmedia-Bereich ist dies nicht der Fall, da es viele, sehr disparate Quellen geben kann. Entsprechend vielgestaltig und facettenreich kann auch das Bild des Rezipienten von einer Figur sein.

Es ist deswegen von Vorteil eine Figur als ein “Set” von Elementen zu verstehen, das sich aus den Verhaltensweisen und Eigenschaften einer Figur speist. Dieses “Set” umschreibt die Möglichkeiten, beziehungsweise den “Handlungsspielraum” einer Figur innerhalb einer Geschichte. Das “Set” sollte dabei alle Funktionen einer Figur abdecken, die Funktionen sollten allerdings nicht ausschließlich das Set definieren.

Das “Set” ist – in gewissem Rahmen – erweiterbar, solange eine Figur noch nicht in allen Details festgelegt ist. Wenn z.B. der Wohnort einer Figur festgelegt ist, wird es notwendig zu erklären, warum sie sich plötzlich woanders befindet; wenn der Wohnort nicht festgelegt ist, dann besitzt der Autor die Freiheit diesen spontan nach inhaltlichen Bedürfnissen zu wählen.

Bei der Festlegung des “Sets” ist auf eine Konsistenz der Darstellung zu achten. Vor allem, wenn verschiedene “Darsteller” nachher die Figur steuern werden. Von außen betrachtet muß die Figur insgesamt schlüssig erscheinen.

3. Fragmentarische und nonlineare Verteilung
Im Transmedia-Bereich können Informationen über Figuren über verschiedene Medien und Zeiträume verteilt sein. Deswegen werden charakteristische Details einer Figur wichtiger, um ihren Wiedererkennungswert zu erhöhen.

Schlüsselbegriffe, Tropes und Klischees können dabei als bewußt eingesetzter “Trigger” dienen, um spezifische Figuren dadurch zu umreissen (z.B. “Ach, er ist der Heavy Metal-Fan.”).
Dabei kann es zu Wechselwirkungen mit den gewählten Medien kommen. Einerseits sind wahrscheinlich bestimmte Medien durch das “Set” bevorzugt (z.B. ein Videofilmer wird wahrscheinlich am ehesten in einem Youtube-Video auftauchen), andererseits wirkt ein bildlicher Eindruck stärker als etwa ein Text (s.o.). Dies kann bewußt als Effekt eingesetzt werden.

Besonders zu beachten ist hierbei auch der Schreibstil. Der Schreibstil, sowohl was Grammatik, Syntax, aber auch die Wortwahl betrifft, ist für jeden Menschen charakteristisch. Dieser ist selten mit dem Sprachstil identisch, so dass durchaus unterschiedliche Personen eine Figur als Darsteller “sprechen” und “schreiben” können. Allerdings sollte auf den Schreibstil besonders geachtet werden, da dieser häufig den Rezipienten zeitlich lange vorliegt und ihm so besondere Aufmerksamkeit zukommt.

4. Darstellung durch Schauspieler
Schauspieler füllen im Ideafall “eine Rolle aus”. Das heißt, dass sie nicht untätig in der Gegend herumstehen, wenn ein Autor ihnen einmal keine explizite Aufgabe zugewiesen hat. Zudem beleben sie zumeist eine Figur durch eine kreative Interpretation. Da die Autorentätigkeit und die Darstellung einer Figurenrolle im Transmedia-Bereich häufig nicht zeitlich voneinander getrennt sind, kommt es zu Wechselwirkungen zwischen beiden Tätigkeiten.

Deswegen sollten Autor und Schauspieler eng zusammenarbeiten, um eine Figur auszugestalten und Inkonsistenzen zu vermeiden. Gemäß dem Spruch “Ein Bild sagt mehr als tausend Worte” ist zu beachten, dass Bilder, Video oder Darstellung in der realen Welt den Eindruck stärker prägen als andere Medien oder Darstellungsformen. Wenn es deswegen nicht möglich ist, dass Autor und Schauspieler zusammenarbeiten können, so ist es meistens von Vorteil wenn der Autor seinen Teil anpasst, um eine Figur “im Bild zu halten” (natürlich nur insoweit als wie es der inhaltliche Rahmen erlaubt).

Wir danken Philipp für seinen tollen Vortrag und seine Zusammenfassung. Wer zur Figurenentwicklung noch Fragen hat und mit Philipp in Kontakt treten möchte, der kann ihn über seine Mail-Adresse erreichen.

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