Vor einer Woche lief wieder unsere Sendung “The Future Be Now” bei ununi.tv. Es war die erste Folge, in der wir Fabian Kern von Digital Publishing Competence mit an Bord hatten – wenngleich auch einmalig nur per Twitter.
Wir hatten uns vorgenommen, über die App “The Silent History” zu sprechen, die für uns beide sehr gelungen Technik und Geschichte kombiniert. Um Fabian nun nochmals ausführlich zu Wort kommen zu lassen, haben wir ihm einfach hier auf dem Blog ein bisschen mehr Platz als 140 Zeichen gegeben.
Warum hast du dich für The Silent History als erstem Projekt für unseren “Future Be Now”- Sendung im Hangout entschieden? Was ist besonders gelungen daran?
Silent History ist ja als Mobile App für iOS realisiert, obwohl darin hauptsächlich ein Episoden-Roman in Form von Fließtext ohne besondere gestalterische Anforderungen zum Kunden transportiert wird. In der App werden nur ganz wenige Funktionen realisiert: Zeitsteuerung des Content-Zugriffs – der Leser kann nur eine Geschichte pro Tag lesen, sozusagen der „eingebaute Cliffhanger“; Karten-Einbindung und Anzeige von geolokalisiertem Zusatz-Content und Community-Integration durch die Möglichkeit, selber Zusatz-Content beizusteuern. Die App ist also funktional sehr reduziert und beschränkt sich auf Elemente, die für das Gesamtkonzept, den dramaturgischen Aufbau und die Konstruktion eines Story-Universums dienlich sind. Gleichzeitig sind die Funktionen so generisch realisiert, dass sie auf weitere Projekte mit ähnlichem Aufbau einfach übertragbar sind – das Konzept ist also skalierbar. Überzeugend finde ich die Umsetzung deswegen, weil Funktionen und Effekte in der App nicht als Selbstzweck genutzt werden, sondern immer im Dienst der Geschichte, die erzählt wird.
App oder E-Book?
Ein klares: Kommt drauf an. Auf der Eben von Möglichkeiten und Grenzen würde ich sagen: eBook würde ich als Medium immer dann wählen, wenn Inhalte vor allem in gestalterischer Sicht aufgewertet und/oder durch multimediale Elemente ergänzt werden sollen. Auch einfache Effekte und simple Formen von dynamischer Content-Gestaltung werden hier Stück für Stück machbar. App wird immer dann der Weg der Wahl sein, wenn für Produkte aufwändigere Formen der Nutzer-Interaktion realisiert werden sollen, oder wenn für Transmedia Storytelling verschiedene Web-Kanäle ohne zu große Medienbrüche integriert werden sollen. In der Praxis muss man aber immer dagegen halten, dass die Entscheidung für den einen oder den anderen Weg in der Regel eher nach Budget-Erwägungen getroffen werden wird, als auf der Basis gestalterischer Erwägungen.
Enhanced E-Books sind gerade in der Sandkastenphase meintest du auf Twitter. Willst du das ein bisschen erläutern?
Enhanced eBook ist ja ein recht junges Medium – im Grunde wird erst seit etwa 1,5 Jahren mit Anwendungen wie iBooks Author oder den ersten EPUB3-fähigen eReadern langsam deutlich, welche technischen Möglichkeiten zur Mediengestaltung verwendet werden können. Aber bei neuen Medien ist es ja immer so, dass es eine ganze Zeit braucht, bis Gestalter lernen, mit diesen neuen Möglichkeiten sinnvoll umzugehen, mediengerecht zu arbeiten. Und erst recht, bis sich eine eigene Medienkultur entwickelt hat. Zum Beispiel, als sich die Fotographie entwickelt hat, hat es eine ganze Zeit gebraucht, bis sich die Bildersprache weg von den Vorbildern Malerei und Skulptur und hin zu einer eigenständigen Nutzung entwickelt hat. Enhanced eBook sehe ich gerade in dieser Phase des Austestens der neuen Möglichkeiten – mit nicht immer sinnvollen Ergebnissen.
Was wäre technisch schon möglich, was macht schon Sinn?
Wenn wir auf enhanced eBook mit Container-Formaten wie EPUB3 und KF8 schauen, kristallisieren sich dort als Möglichkeiten vor allem gestalterische Aufwertung und Integration von Multimedia-Elementen als breit verwendbare Merkmale heraus. Realisierung von dynamischem Content und interaktiven Funktionen über Javascript ist als Möglichkeit in EPUB3 angelegt, wird aber de facto nur von iBooks unter iOS und einigen sehr exotischen eBook-Readern unter Android vernünftig unterstützt. Da reden wir also sicher nicht von einem Massenmarkt, für den solche Möglichkeiten verfügbar sind. Realisiert man enhanced eBook als Mobile App oder Web-Anwendung, ist natürlich quasi alles an Funktionalität umsetzbar, was man überhaupt mit Webtechnologien implementieren kann – aber die Möglichkeiten korrespondieren natürlich immer mit entsprechendem Entwicklungsaufwand. Für Transmedia Storytelling kann das natürlich interessante Wege eröffnen: Von Integration verschiedenster Content-Channels und Plattformen ohne Medienbrüche, über einen Austausch mit dem Gaming-Bereich bis hin zu echter Nutzerinteraktion und Nutzer/Nutzer-Kommunikation in Erzählwelten kann ich mir hier vieles vorstellen. Aber die Sinnfrage würde ich im Bereich Storytelling immer so beantworten: Sinnvoll ist, was der Geschichte dienlich ist. Produkte, die Effekte um der Effekte willen nutzen und auf der anderen Seite dramaturgisch eher dürftig sind, werden denke ich von Lesern immer schneller erkannt und auch abgestraft werden.
Prognose für den E-Book Markt in Deutschland 2013-2014?
Insgesamt würde ich erwarten, dass sich der Massenmarkt auf niedrigem Niveau konsolidieren wird. Andererseits muss man sehen: Die in der letzten eBook-Studie des Börsenvereins genannten 2,5% Marktanteil für eBook sind natürlich über alle Produktbereiche gemittelt und betreffen vor allem den Publikumsmarkt – in einzelnen Marktsegmenten schaut das schon ganz anders aus. Als sehr spannenden Trend sehe ich daneben die explodierenden Verkaufszahlen für Tablets an: Alleine im letzten Jahr sind in D mehr Tablets verkauft worden, als insgesamt eReader im Markt sind. Wird das Tablet zum Gerät, dass ähnlich breit verfügbar wird wie in den letzten Jahren die Notebooks, gibt es hier quasi einen „zweiten Markt“, der insbesondere für enhanced eBook besonders interessant ist. Für sicher halte ich aber auch, dass hier eine andere Nutzergruppe mit anderem Mediennutzungs-Verhalten zuhause ist, als bei den „klassischen“ eReadern – mit der offenen Frage, wie weit die beiden Bereich parallel nebeneinander existieren.
Welche Technologie wird sich durchsetzen?
Ich denke inzwischen, es wird sich nicht eine Technologie alleine durchsetzen. Die große Erwartung der Verlagsherstellungen für den „einen Marktstandard“ sehe ich mittelfristig nicht als realistisch an. Für einfach gehaltene eBooks hat sich ja zumindest das Duo EPUB/Mobipocket als Standard etabliert. Für enhanced eBooks sehe ich auch weiterhin eine zweigleisige Entwicklung: Für einfacher gehaltene Projekte bietet sich eine Realisierung als EPUB3/KF8 an – wobei ich für EPUB3 für die nächsten 1-2 Jahre von einer Situation verschiedener „60%-Implementierungen“ durch die großen Anbieter ausgehen würde. Für Projekte mit anspruchsvollerer Funktionalität würde ich Richtung Web-Apps denken – zum einen, weil ich plattformübergreifende Verwendbarkeit für unabdingbar halte – zum anderen, weil ohnehin immer mehr Anwendungen von tiefer Verzahnung mit Web-Anwendungen leben. Insgesamt würde ich aber davon ausgehen, dass als Basistechnologie HTML5 und die darin integrierten Standards die Hauptrollen spielen wird – nur eben mit verschiedensten Typen von Container-Formaten und Anwendungstypen, die auf dieser Basis Content distribuieren und verfügbar machen – mit jeweils recht unterschiedlichen Möglichkeiten und Grenzen. Mit anderen Worten: Ich glaube, es wird spannend bleiben.
Lieber Fabian, vielen Dank für diese ausführlichen Erklärungen, wir freuen uns schon auf unsere nächste gemeinsame Sendung!
Am 23.07.2013 ist um 12:15h aber erstmal Chris Schollerer zu Gast, sie wird ihren MOOC-Kurs “The Future of Storytelling” vorstellen.
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