ARTE zeigt mit “Lebt wohl, Genossen!” ab dem 24. Januar in 6 Teilen den schleichenden Zerfall und Zusammenbruch der UdSSR

Am 10. Januar lud ARTE in das SOHO House in Berlin zur Pressekonferenz von “Lebt wohl, Genossen!”. Auch wir durften bei diesem Event dabei sein und exklusiv den ersten der aus sechs Teilen bestehenden Dokumentation sehen, die am 24. und 31. Januar sowie am 07. Februar jeweils ab ca. 21.45 Uhr in Doppelfolgen auf ARTE ausgestrahlt werden wird.

Die Dokumentation beleuchtet dabei den Zusammenbruch der UdSSR aus ganz verschiedenen Blickrichtungen. Doch das Projekt ist weitaus mehr als eine bloße Dokumentation im TV. Es spannt den Bogen crossmedial vom TV ins Internet zu einer extra eingerichteten Webseite, auf der man fast schon spielerisch neben weiteren Informationen zu historischen Hintergründen und den jeweiligen Zeitzeugen noch vieles mehr entdecken kann.

Die Dokumentation beginnt mit dem Vater (Andrei Nekrasov), der zu Szenen aus der damaligen Zeit aus dem Off zu uns spricht. Es sind seine Gedanken, seine eigensten Erinnerungen an den 25. Dezember 1991, an den einen Tag, als Michail Sergejewitsch Gorbatschow das Ende der Sowjetunion verkündete und etwas in ihm, dem Vater, starb.

Doch anstatt darüber zu jammern möchte er lieber vergessen und schließt seine Einleitung mit den Worten “Es gibt nichts mehr zu sagen” ab.

Hier setzt nun seine Tochter an, dargestellt von Tatjana Nekrasov, und tritt mit ihm in den Dialog. Gargarina studiert Geschichte und wirft von nun an immer neue Fragen auf. Es ist ihr ein Anliegen, das Vergangene nicht zu vergessen – auch nicht all die schrecklichen Dinge, die Geschehen sind. Sie fragt sich: “Warum musste sich dann dieses größte Reich der Weltgeschichte mit all seinen Satellitenstaaten, Armeen und Geheimdiensten kampflos ergeben? Ich möchte herausfinden wie und warum es dazu kommen konnte.”

Das ist das Ende. Ich erinnere mich genau. Mit erscheckender Deutlichkeit erinnere ich mich an den Moment, als mir dieser Satz durch den Kopf ging. Es war der 25. Dezember 1991, ich war 33 Jahre alt, und etwas in mir ist gestorben. Der für mich großartigste Gedanke aller Zeiten nach dem Christentum, der Sozialismus, war tot. Geboren als Traum von Brüderlichkeit und Gerechtigkeit, wurde er jahrhundertelang als reine Utopie belächelt – aber bei uns war er zur offiziellen Staatsform aufgestiegen! Sein Ende war so banal und nichtssagend wie die Fernsehsendung, in der das Ende verlesen wurde: Ein sechzigjähriger Kahlkopf mit provinziellem Dialekt räumte unsere Niederlage ein.

Vater (Der Erzähler)

Der Dialog der beiden wird im folgenden immer wieder auch von Zeitzeugenberichten unterstützt. Gleich in der ersten Folge, die den Titel Machtrausch trägt und etwa die Jahre von 1975 bis 1977 beschreibt, kommen neben dem Vater und seiner Tochter auch Anatoly Chernyaev (Breschnews Redenschreiber), Sergei Celac (Dolmetscher von Ceausescu), die Musiker der teschechoslowakischen Rockgruppe Plastic People of the Universe, Mitglieder des Zentralkommitees aber auch einfache Arbeiter oder die französische Schauspielerin Marina Vlady, die bis zu dessen Tod mit dem russischen Liedermacher Wladimir Wyssozky verheiratet war zu Wort. Sie alle zeigen auf, wie sich im repressiven System der Sowjetunion langsam aber sicher geistige Freiheit, Rebellion und Redefreiheit ihren Weg in die Öffentlichkeit bahnen.

Und die hier aufgeführten Zeitzeugen sind nur ein Teil derer, mit denen für die Dokumentation Interviews geführt wurden. Insgesamt sprach man mit über 70 Protagonisten allein für die Film-Dokumentation. Für den Webauftritt kommen sogar noch einmal 30 Zeitzeugen hinzu.

Drüber hinaus wurden rund 360 Stunden Archivmaterial aus insgesamt 33 Ländern gesichtet, die dann in die Dokumentation einflossen.

Realisiert wurde das Crossmedia-Projekt von Gebrueder Beetz Filmproduktion in Berlin und Artline Films in Paris. Alles in allem beläuft sich das Gesamtbudget für dieses Crossmedia-Projekt übrigens auf eine Summe von 2,6 Mio. Euro. Davon wurden für die TV-Serie 2,2 Mio. Euro veranschlagt. Die restlichen 0,4 Mio. Euro wurden für das Webformat verwendet.

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Die TV-Dokumentation:

  1. Machtrausch (1975-1977)
  2. Bedrohung (1980 – 1984)
  3. Hoffnung (1985 – 1987)
  4. Erwachen (1988)
  5. Revolution (1989)
  6. Zusammenbruch (1991 – 1991)

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Neben einer Vielzahl von Koproduktionen und Kooperationen wurde “Lebt wohl, Genossen!” natürlich auch gefördert. Zu den Förderern zählen unter anderem das MEDIA-Programm der EU, die Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH, die Bundesstiftung für Aufarbeitung, PROCIREP, ANGOA und der Slovak Audiovisual Fund.

Auf der Pressekonferenz führte zunächst der Programmdirektor von ARTE, Christoph Hauser, in die Geschichte der Dokumentation ein “1975 lebte fast die Hälfte der Weltbevölkerung im Macht- und Einlfussbereich der Sowjetunion. Nur 16 Jahre später, am 25. Dezember 1991, gab Michael Gorbatschow sein Amt als Präsident der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, kurz UdSSR, auf und besiegelte damit das Ende des Sowjetimperiums. …”

Nachdem der erste Teil der Dokumentation gezeigt worden war, standen Andrei Nekrasov (Regisseur und Autor) und György Dalos (Autor) für weitere Fragen zur Verfügung. Anschließend stellte Georg Tschurtschenthaler (vom Produktionsteam Gebrueder Beetz) die Projekt-Webseite vor, die damit auch gleich online ging. In der Nacht zuvor, so versicherte er dem Publikum, sei noch “an der Seite geschraubt worden.”

Die Webseite bietet die Möglichkeit, selbst und auf interaktive Art und Weise in die Dokumentation einzutauchen. Auf ihr sind ausgehend von 30 Original-Postkarten aus dem Zeitraum der Dokumentation Berichte, Informationen und Videos von Augenzeugen zu finden. Diese Videos wurden extra für die Web-Dokumentation gedreht und bilden sozusagen Satelliten zu den Videos, die auch in der TV-Dokumentation vorkommen. Trotzdem sind sie auch völlig losgelöst davon erlebbar.

Hier kann man sich durch verschiedene Themengebiete klicken und erfährt zum Beispiel von Niklai Vasin, einem der bekanntesten Beatles-Fans der UdSSR, wie dieser seiner Sammelleidenschaft von Rock-Musik überhaupt nachgehen konnte und wie er sogar in den Besitz eines Original Autogramms von Paul McCartney gelangte.

Wenn am 07. Februar die Ausstrahlung der beiden letzten Folgen beendet ist, und nur noch Ausstrahlungen in anderen Ländern folgen, haben wir noch die Möglichkeit, zumindest für einen kurzen Zeitraum über die Mediathek auf die Folgen der Dokumentation zuzugreifen. Allerdings hat ARTE hier bereits angekündigt, dass es sehr wahrscheinlich eine DVD der Dokumentation geben wird, sodass diese nicht ganz verschwinden wird.

Die Webseite wird ein bisschen länger online bestehen bleiben. Bislang ist die Dauer allerdings auch auf “nur” ein halbes Jahr angelegt.

György Dalos ist übrigens nicht nur Mit-Autor der Dokumentation. Er hat auch ein Buch mit dem gleichen Titel verfasst und veröffentlicht. Einen Link dazu findet man weiter unten in unserer Link-Box.

Link-Box

Bilder von der Pressekonferenz vom 10. Januar 2012, (C) ARTE
 Bilder der Webseite Farewell Comrades!, (C) ARTE