Der normale Mensch weiß nichts von den Geheimgesellschaften, die hinter den Kulissen der Macht die Fäden ziehen, es sei denn, dass er selber eines Tages – mehr oder weniger durch Zufall – ein Mitglied einer jener Geheimgesellschaften werden sollte.
Dieser Zufall ist der Ausgangspunkt des MMOs “The Secret World“, eines jener Onlinerollenspiele in denen sich tausende Spieler gleichzeitig durch eine virtuelle Welt bewegen und mit- oder gegeneinander interagieren. Bekanntester und erfolgreichster Vertreter des inzwischen traditionsreichen Computerspielegenres, ist dass immer noch von über 8 Millionen Spielern weltweit besuchte “World of Warcraft“. Doch die Dominanz des 2005 veröffentlichten Genreplatzhirsches schwindet langsam und in seinem Schatten haben sich einige neue MMOs entwickelt, die ganz bewußt neue und andere Wege gehen wollen. Das vor ziemlich genau einem Jahr veröffentlichte “The Secret World” ist ein Produkt dieses Trends.
[lightbox full=”https://tmsb.de/wp-content/uploads/2013/07/The_Secret_World_-_Spielszene.jpg” title=”Spieler kämpfen gegen einen Guardian in The Secret World“]
[/lightbox]
Während die Spieler anderer MMOs durch Fantasy- oder Science-Fiction-Welten wandern, um dort Ruhm, Ehre und schillernde Rüstungen zu erringen, ist der Spieler von “The Secret World” kaum mehr als ein machtloser Außenseiter unserer heutigen Zeit: Ein Insekt verirrt sich in den Hals seiner Spielfigur und ein paar Tage später steht ein Vertreter einer Geheimgesellschaft vor der Tür und läßt dem Spieler nur die Wahl zwischen der Rekrutierung durch eine Geheimgesellschaft und eines unerwartet plötzlichen Todes.
Im Auftrag der neuen Herren und Damen der drei Geheimgesellschaften der Illuminaten, Templer und Drachen geht es dann tief hinab in jene Abgründe, um deren Herrschaft sich diese (und andere) Gruppen streiten: Zombieverseuchte Inseln in Neu-England, ein vom Bürgerkrieg zerrissenes Ägypten, der heruntergekommene, ehemalige Ostblock und ein kontaminiertes Tokyo sind die Schauplätze einer Reise in der der Spieler sich als einfacher Fußsoldat der Geheimgesellschaften vorwagen muß. Sein Handy läßt ihn dabei niemals in Ruhe: Ständig erreichen ihn darüber neue, noch gefährlichere Aufträge und seine Herren und Meister informieren ihn bröckchenweise über den Stand einer Welt am Abgrund.
Dieses Handy, ein modernes Smartphone mit allem was dazu gehört, ist einer der Brennpunkte des transmedialen Universums, dass “The Secret World” aufbaut. Während die überwiegende Mehrheit des Spiels sich in einer für Computerspiele typischen 3D-Welt abspielt, wo man mittels Kung-Fu, Schrotflinten oder Flammenwerfern Zombiehorden oder fanatisierte Anhänger eines altägyptischen Gottes bekämpft, ist das Handy auch das Portal zum Internet. Nein, damit ist nicht ein im Spiel vorhandenes Internet gemeint, sondern das Internet, dass man über einen Browser im Spiel oder wahlweise mit einem beliebigen Browser seiner Wahl auf dem Desktop seines PCs erreichen kann.
[lightbox full=”https://tmsb.de/wp-content/uploads/2013/07/The_Secret_World_-_Ingame_Browser.jpg” title=”Der Ingame-Browser im Einsatz”]
[/lightbox]
“The Secret World” trennt nicht zwischen einer fiktiven und realen Welt. Indem sich die Figuren und Orte des Spiels quasi ständig auf reale Dinge beziehen und die darin eine Rolle spielenden Ereignisse nicht durch Zufall an reale Ereignisse erinnern, baut “The Secret World” eine transmediale Narrative auf, in der dem Spieler nicht nur nahegelegt wird sich auch außerhalb des eigentlichen Spiels zu bewegen. Nein, er wird dazu gezwungen.
Dass ein derartiges Computerspiel bereits im Vorfeld seines Erscheinens mit einem ARG (Alternate Reality Game) beworben wurde, ist wenig überraschend. Lange vor Erscheinen des Spiels heizte Hersteller Funcom die Community bereits mit einigen mysteriösen Botschaften und verschlüsselten Nachrichten an, die zu immer neuem PR-Material führten. Diese Reihe an Mini-ARGs mündete schließlich in das ARG vor der Veröffentlichung (“A new Mission“), indem interessierte Spieler zu einem runenverzierten Portal geleitet wurden, hinter dem sie Zugang zu einer Reihe von Bilderrätsel erhielten. Diese führten tief hinab in die Geschichte eines Serienkillers, der von abtrünnigen Geheimgesellschaftlern unterstützt wurde. Die Teilnehmer des ARGs konnten sich später darüber freuen Ehrenmitglieder einer der Geheimgesellschaften zu werden.
Selbst nach der Veröffentlichung des MMOs wies ein weiteres ARG die Spieler auf neue Inhalt im Spiel hin, so dass bereits durch die ARGs eine Verküpfung zwischen dem MMO und den ARGs bestand.
[lightbox full=”https://tmsb.de/wp-content/uploads/2013/07/The_Secret_World_-_ARG_Seal.jpg” title=”Eines der als Seals bezeichneten Bilderrätsel im ARG A New Mission“]
[/lightbox]
Hier ist es, wo “The Secret World” einen deutlichen Schritt weitergeht als viele seiner Mitbewerber, die ARGs als bloßes Marketinginstrument verwenden: Die im Spiel immer wieder anzutreffenden Recherchemissionen zwingen den Spieler auch dort mittels klassischer ARG-Techniken Lösungen für Probleme innerhalb des Spiels außerhalb davon zu suchen.
Dafür hat die bereits durch das wesentlich klassischere MMO “Age of Conan” bekannte Herstellerfirma Funcom entsprechende Webseiten im Netz etabliert, die teils als Hort für Informationen, teils als Zugang zu versteckten Webseiten dienen, die den Spieler die entscheidenden Hinweise geben, um im Spiel voran zu kommen. Dazu gehört gleichermaßen Webseiten der fiktiven “Orochi Group“, des Urlaubsorts Kingsmouth, wie auch die Wikipedia-Einträge über klassische Maler oder den Komponisten Henry Purcell und andere öffentlich zugängliche Informationen über Ereignisse, die im Geschichtenkosmos von “The Secret World” uminterpretiert werden. Morse-Codes, verschlüsselte Nachrichten und mathematische Rätsel sind ebenfalls im Spiel zu finden.
Um den Spielfluß dabei nicht zu stören, bilden das bereits erwähnte Handy und der voll funktionstüchtige Browser des Spiels eine entscheidende Rolle für die Spieler. Anders ausgedrückt: Während die Spielfigur mit der einen Hand sich eine Horde Zombies mittels eines Maschinengewehrs vom Leibe hält, browst er oder sie mit der anderen im Internet, um sich über die Illuminaten zu informieren, damit er oder sie mit diesem Wissen eine rettende, aber noch verschlossene Tür öffnen kann.
[lightbox full=”https://tmsb.de/wp-content/uploads/2013/07/The_Secret_World_-_Ingame_Raetsel.jpg” title=”Eines der Rätsel im Spiel: Time is the province of Kings and Gods. The hands of time point toward truths written by Kings in the words of God. The path is open to the enlightened.“]
[/lightbox]
Wider Erwarten haben sich diese Recherchemissionen (die sich nicht in bloßen Google-Suchen erschöpfen!) als ein “fan favorite”, des ansonsten von finanziellen Mißerfolgen geplagten Spiels erwiesen. Die Stärke der transmedialen Konstruktion, die direkt mit der Narrativen um die Geheimgesellschaften verzahnt ist (und bewußt sich bekannter Verschwörungstheorien bedient), erweist sich eben in diesen Elementen und verstärkt die nicht zu unterschätzenden Horror-Elemente der Geschichte. Die von dem ehemaligen Head Writer Ragnar Tørnquist (unter anderem auch Macher des Kult-Adventures “The longest Journey” und inzwischen bei Red Thread Games) und dem Funcom-Team geschaffene Welt lebt von der Lebendigkeit und der Bezugnahme, die eine sich aus der Verzahnung mit unserer Realität ergibt.
Während die Mehrheit der anderen MMOs sich mal mehr, mal weniger originell interpretierten Fantasy-Konventionen erschöpfen, baut “The Secret World” eine mit allen Mitteln der Popkultur zusammengehaltene “Alternate Reality” auf, in der die faszinierend vielschichtigen Nichtspielercharaktere auch schon einmal Filme oder andere Computerspiele zitieren, um den Spieler von sich und ihrer Sache zu überzeugen. Aufmerksame Spieler entdecken zudem viele Zitate aus den Werken von H.P. Lovecraft, Stephen King, aber auch aus “Indiana Jones”, die sich mit den anderen narrativen Elementen zu einem erstaunlich schlüssigem Ganzen verbinden.
Auch wenn “The Secret World” bisher nur wenig mehr als einen Kultstatus unter den derzeit aktiven MMOs erreicht hat, ist das Spiel dennoch ein ausgezeichnetes Beispiel wie ein transmedial gedachtes Storytelling ein Spiel sowohl inhaltlich, wie auch spielerisch aufwerten kann. Ragnar Tørnquist und das Team von Funcom beweisen, dass eine “Alternate Reality” nicht nur für “Alternate Reality Games” gut ist.
Recent Comments