Kulinarische Comics erfreuen sich in Frankreich und darüber hinaus einiger Beliebtheit: Christophe Blains “En cuisine avec Alain Passard” war sicherlich eines der ersten Hingucker in diesem Genre (auch auf Deutsch erschienen), Guillaume Long ist wahrscheinlich am produktivsten in diesem Bereich, Étienne Davodeau hat sich in “Les Ignorants” dem Wein verschrieben (die Deutsche Ausgabe ist inzwischen leider vergriffen); in den USA gibt es Indie-Comics wie etwa Lucy Knisleys “Relish” und in Japan sogar das Genre des gurume manga (abgeleitet von Gourmet), das sich nur ums Essen dreht.
Mit anderen Worten: Kulinarische Comics haben zur Zeit einen hohen Stellenwert, weil es offensichtlich ein Publikum gibt, das sich an hübschen Bildern und Kochgeschichten erfreut.

“12 Rue Royale ou les sept défis gourmands” (in etwa: “12 Rue Royale oder die sieben kulinarischen Aufgaben”) gehört ganz diesem Genre an.

Die Handlung ist recht einfach zusammengefaßt: Mathieu Viannay, Chefkoch des traditionsreichen Restaurants “La Mère Brazier” in Lyon, hat ein Problem. Er ist sehr erfolgreich, wird von Kritikern, wie auch seinen Gästen hoch gelobt, doch langsam wird es eng und er muß selbst gute Freunde abweisen, wenn sie einen Tisch bei ihm reservieren wollen. Eigentlich wäre das Lokal direkt nebenan – seit Jahren außer Betrieb – der ideale Ort um das “La Mère Brazier” zu erweitern, doch der Besitzer gibt sich störrisch.

Viannay gibt nicht auf und schließlich scheint der Nachbar nachzugeben: Wenn es Viannay gelingen sollte sieben kulinarische Herausforderungen zu meistern, dann wird er sein Lokal an Viannay verkaufen. Der Meisterkoch läßt sich auf den Wettstreit ein, bereut es aber schnell: Die sieben Aufgaben fordern seiner Küche und seinen Angestellten alles ab. Einmal soll er ein trauerndes Ehepaar wieder glücklich machen; ein anderes Mal einen Tisch voller streitender, vollkommen gegensätzlicher Charaktere zufriedenstellen; oder dafür sorgen, dass die Teilnehmer eines Blind Dates von seinem Essen verführt werden und so weiter.

Dies alles wird virtuos in Szene gesetzt und die Lösungen für die Aufgaben beruhen auf tatsächlichen Rezepten, denn…

Mathieu Viannay ist ein real existierender Koch. “La Mère Brazier” ist das traditionsreiche Restaurant in Lyon als das es dargestellt wird. Die Geschichte aber ist reine Fantasy. Wo andere kulinarische Comics sich sehr bewußt für einen realistischen Ton entscheiden, erhebt “12 Rue Royale ou les sept défis gourmands” seine Hauptfigur zu einem Mozart der Küche, dessen geniale Kompositionen Superkräften gleichkommen. Ton und Inhalt sind irgendwo zwischen Pixars “Ratatouille” und Lasse Hallströms Feel-good-Film “Chocolat” angesiedelt.

Die Grafik des Zeichners Efix ist typisch Französische Schule: Man erkennt sofort die Verwandschaft zu “Astérix”, “Lucky Luke” oder “Gaston” mit ihren beweglichen, dynamischen Figuren und expressiven Panels, die sich nicht immer an die Gesetze der Physik gebunden fühlen. Da fliegen die Zutaten für Suppen oder Pasteten durch die Luft und Gerüche bringen die Gäste zum Fliegen. Es dominieren starke Outlines und graue Schattierungen mit ein paar Farkakzenten. Das Layout ist dynamisch und manchmal etwas unübersichtlich, was aber nicht selten den ausufernden Gaumenschmaus darstellen soll. Alles ist mit hohem handwerklichen Geschick gemacht.

Am Ende gibt es – ganz den Konventionen des kulinarischen Comics entsprechend – nach dem Cartoon noch einem Überblick über die Geschichte des heute mit 2 Michelin-Sternen ausgezeichneten “La Mère Brazier”, biografische Details zu dem realen Mathieu Viannay und eine Handvoll Rezepte. Es ist als würde einem nach fettigen Hamburger mit Pommes Rot-Weiß als Nachtisch mit Honig glasierte, gebratene Aprikosen auf Marsala-Mascarpone-Crème mit frischen Mandeln, Passionsfruchteiscreme und rohen Pfifferlingen serviert. Letzeres findet man tatsächlich auf der Karte des “La Mère Brazier”, ersteres eher nicht und die Kombination von beidem ist sicherlich nicht nach jedermanns Geschmack.

Hervé Richez & Efix
12 Rue Royale ou les sept défis gourmands
Grand Angle/Édition Bamboo
ISBN 978-2-8189-3452-4