Vom 25. bis zum 29. April hat in Berlin das A-Maze-Festival stattgefunden. Als eine der Veranstaltungen der Berlin Games Week ist die A-Maze das Treffen der Indepedent-Szene, jenem Teil der Spielebranche, die sich eher der Kunst als dem Kommerz verschreibt. Das hat natürlich auch so seine Grenzen, aber dennoch ist die A-Maze eher eine Veranstaltung für die (Bilder-) Stürmer und Dränger als für die Karrieristen der Branche.

Wie jedes Jahr wurde dabei auch Preise an die auf der Veranstaltung präsentierten Spiele vergeben. Dabei kam es zu einer paradoxen Situation: Der Hauptpreis ging an das Tschechische Spiel “Attentat 1942”, eine spielerisch-dokumentarische Aufbereitung des Attentats auf Reinhard Heydrich, Nazi-Gouverneur in der besetzten Tschechoslowakei und einer der Architekten der “Endlösung”.
Doch dieses Spiel ist in Deutschland überhaupt nicht verfügbar und konnte selbst auf der A-Maze nur als Videotrailer vorgestellt werden.

Die Frage nach dem Warum dieser paradoxen Situation ging am Tag nach der Preisverleihung ein Panel nach, dass sich mit der schwierigen Situation der Deutschen Gamesbranche auseinandersetzen mußte.

Unter der Moderation von Marcus Richter, diskutierten Marie Berthoumieu von Arte; Vít Šisler, der Game Director von “Attentat 1942”; und der Anwalt Kai Bodensiek, der früher unter anderem als Berater der USK (die “Unabhängige Selbstkontrolle” der Spielebranche) tätig war.

Obowhl sich Moderator Richter Mühe gab Marie Berthoumieu in das Gespräch einzubinden, stellte sich schnell heraus, dass sie als Französin leider wenig zu der Diskussion beitragen konnte. Es waren vor allem Šisler und Bodensiek die Einblicke in die verfahrerene Situation geben konnten.

Šisler begann noch einmal genauer die Entstehungsgeschichte des Spiels nachzuvollziehen: Als eine Entwicklung zwischen verschiedenen Institutionen Tschechiens war “Attentat 1942” als ein Spiel vor allem für Schulen gedacht, um es als Unterrichtsmaterial zu nutzen und Schülern die Besetzung während des Zweiten Weltkriegs nahe zu bringen, vor allem da nur noch wenige Zeitzeugen am Leben sind. Der kommerzielle Aspekt war zweitranging.

Entstanden in Partnerschaft unter anderem der Prager Karls-Universität und der Tschechischen Akademie der Wissenschaften wurde viel dokumentarisches Filmmaterial aus der Zeit verwendet, um das Spiel möglichst authentisch zu gestalten. Dementsprechend häufig tauchen in dem verwendeten Foto- und Filmmaterial die Symbole der Nazis auf, quasi auf jeder Uniform der Besatzungsmacht.
Nachdem sie das Spiel fertiggestellt wurde, erkannt man dessen kommerzielles Potential und man beschloß es auch im Ausland zu veröffentlichen. Es wurde in viele Sprachen übersetzt und auf dem Spieleportal Steam zum Verkauf angeboten.

Zwar wurde es auch in Deutsch übersetzt, allerdings kann niemand aus Deutschland das Spiel kaufen. Grund dafür ist die Rechtslage zur Darstellung “verfassungsfeindlicher Symbole” (§ 86 StGB), die überall im Spiel auftauchen.
Zwar gibt es eine Ausnahme für künstlerischer und pädagogische Werke (etwa Filme), aber diese wird auf Computerspiele nicht angewandt.

Die Erklärung dafür übernahm Kai Bodensiek.
Die Misere geht auf ein Gerichtsurteil von 1989 zurück: Damals wurden die Mailboxen des neonazistischen Thule-Netzes im Proto-Internet von der Polizei beschlagnahmt. Dort fand sich neben jeder Menge Nazi-Propaganda-Material auch eine Raubkopie des Computerspiels “Beyond Castle Wolfenstein“. In dem Spiel ging es eigentlich darum als Amerikanscher Soldat Hitler und seine persönliche Wache zu bekämpfen. Doch wahrscheinlich machte sich nach der Beschlagnahmung niemand die Mühe das Spiel überhaupt zu spielen.
Das Resultat war ein Gerichtsurteil, dass “Beyond Castle Wolfenstein” als ein Medium einstufte, dass “verfassungsfeindliche Symbole” verbreitete und damit einen bis heute gültigen Präzendenzfall schuf.

Für die heutigen Spielehersteller in denen Symbole der Nazi-Zeit auftauchen ist die Situation deswegen sehr schwierig: Wenn ein Spiel mit verfassungsfeindlichen Symbolen zur Alterbestimmung bei der USK eingereicht würde, dann würde dem Spiel (aufgrund des Urteils von 1989) die Altereinstufung verweigert. Das heißt, dass theoretisch jeder Publisher/Developer das Spiel zwar immer noch veröffentlichen könnte (ähnlich wie andere potentiell jugendgefährdende Medien), aber durch die fehlende Altereinstufung wäre es möglich, dass der Publisher/Developer vor Gericht haftbar gemacht werden könnte (und ggf. auch eine Distributionsplattform wie etwa Steam).

Das will kein Publisher/Developer riskieren, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist; weswegen die meisten Publisher/Developer entsprechende Spiele in Deutschland erst garnicht veröffentlichen oder diese so stark abändern, dass sie keine verfassungsfeindlichen Symbole mehr enthalten. Hierfür entschied sich etwa der Publisher Bethesda als er die “Wolfenstein”-Reihe 2014 neu auflegte.

Nach Šislers Angaben wäre dieser Weg für “Attentat 1942” keine Option: Es würde sie zwingen das dokumentarische Material zu verfälschen oder aber ganz aus dem Spiel herausnehmen. Angesichts der Tatsache, dass die Symbole sich auch auf den Uniformen der im Spiel auftauchenden Nazis zu sehen sind, würde nicht viel vom Spiel übrig bleiben.

Bodensiek zeichnete Möglichkeiten auf, wie sich die derzeitige Situation theoretisch ändern ließe: Die offensichtliche wäre es die USK zu verklagen, um zu erreichen, dass sie einem betroffenen Spiels eine Alterseinstufung geben muß.
Dies käme allerdings mit zwei entscheidenden Nachteilen: Erstens müßte der Publisher/Developer hierfür wahrscheinlich durch alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht gehen, was bis zu 8 Jahren in Anspruch nehmen könnte. Nach solch einer langen Zeit haben die meisten Spiele ihren kommerziellen Wert allerdings verloren, so dass es schlicht für Publisher/Developer keinen Sinn macht sich das anzutun, zumal auch die Prozesskosten nicht unerheblich wären.
Und selbst wenn sie – zweitens – erreichten, dass die USK nun auch Spiele mit “verfassungsfeindlichen Symbolen” eine Alterseinstufung geben muß, wäre damit Tür und Tor geöffnet für alle möglichen Spiele mit verfassungsfeindlichen Symbolen, ganz unabhängig von deren Intention. Mit anderen Worten: Auch Spiele, die den Nationalsozialismus verherrlichten könnten dadurch eventuell in Deutschland veröffentlicht werden. Für den ursprünglich klagenden Publisher/Developer wäre dies ein PR-Alptraum.

Nach Bodensieks Einschätzung gibt es innerhalb der USK Bestrebungen an der Situation etwas zu ändern. Das Problem ist allerdings, dass die USK keine Regel-/Gesetz-gebende Instanz ist, sondern nur ausführendes Organ. Sie kann die Politik nur darauf drängen etwas zu ändern, aber bisher stießen sie damit mehr oder weniger auf taube Ohren.
Das hat sich allerdings dem sichtbaren Wiedererstarken von Nationalismus und rechtsradikalem Gedankengut in Deutschland in den letzten Jahren geändert. Vielen Politiker ist klar geworden, dass es besser wäre, wenn sie die Regeln der USK ändern, so dass Spiele mit klarem pädagogischen Anspruch wie etwa “Attentat 1942” oder ansonsten unverdächtige Spiele ausgenommen werden, damit nicht ein Urteil des Verfassungsgericht (siehe oben) die gesamte bisherige Regelung kippt.
Eine entsprechende Änderung könnte in den nächsten 4-5 Jahren (die Mühlen der Politik mahlen langsam) zu erwarten sein.

Vít Šisler stimmte diese Aussicht optimistisch: Derzeit entwickeln er und sein Team eine Fortsetzung des Spiels, die sich mit dem Umbruch nach dem Zweiten Weltkrieg und in diesem Zusammenhang auch mit der Vertreibung der Sudentendeutschen auseinandersetzt. Er würde sich wünschen, dass bis zu der Veröffentlichung der Fortsetzung auch der erste Teil der Reihe in Deutschland auf dem Markt erschienen ist.

Update 9. August 2018: In einer unerwartet schnellen Entscheidung hat inzwischen die USK festgelegt, dass Video- und Computerspiele mit Symbolen des Dritten Reiches nicht mehr grundsätzlich verboten werden sollen. Stattdessen soll – wie bei anderen Medien auch – darauf geachtet werden, ob diese Symbole der “Darstellung von Vorgängen des Zeitgeschehens oder der Geschichte” dienen.